Marketplace Leaders:
Jörn Rehse, idealo

Jörn Rehse

idealo, Co-CEO

Idealo ist eine der führenden Preisvergleichsplattformen in Deutschland und in aktuell 6 weiteren europäischen Ländern vertreten. Das im Jahr 2000 gegründete Berliner Unternehmen vermeldet durchschnittlich 76 Millionen Online-Besuche pro Monat. Diese haben Zugriff auf über 50.000 Shops und mehr als 500 Millionen Angebote.

Jörn Rehse ist Co-CEO von idealo. Dort startete er 2013 mit dem Fokus, die Expansion im Marktplatzsegment voranzutreiben. Ab 2014 war er als CPTO (als Teil einer Doppelspitze) für den Bereich Product & Technology verantwortlich. Im Jahr 2016 wurde er schließlich Teil der Geschäftsführung von idealo. Vor seiner idealo-Karriere war Jörn in verschiedenen Management-Positionen tätig, unter anderem bei der YOC AG, als Vice President Professional Services.

Unser Managing Partner und Marktplatz-Experte Thomas Natkowski spricht mit Jörn Rehse von idealo über die aktuelle Entwicklungen und Chancen im Markt.

Das Marktumfeld im Handel in den letzten drei Jahren war ein Auf und Ab – wie habt ihr das wahrgenommen und bewältigt?

In den letzten Jahren war der E-Commerce diversen externen Herausforderungen ausgesetzt. idealo hat diese Herausforderungen gemeistert. Wir kommen gestärkt aus der Krise.

Besonders spannend war der Herbst 2022 vor dem ersten Winter des Ukraine-Kriegs. Die Sorgen vor mangelnder Energieversorgung, steigenden Gaspreisen und der Inflation waren vorherrschende Themen. Das sind Faktoren, bei denen Menschen verstärkt auf das Geld achten müssen – genau da kommt idealo ins Spiel. Neben den Preisen rückten auch die tatsächliche Verfügbarkeit von Produkten und verlässliche Lieferzeiten in den Fokus.

Wie nehmt ihr das Kaufverhalten der Kunden in Zeiten von Inflation, Krieg und bis vor kurzem auch Corona wahr?

In den Jahren 2020 und 2021 verbrachten die Menschen aufgrund der Pandemie mehr Zeit zu Hause und haben sich also auch mehr mit Online-Shopping beschäftigt. Dies führte zu einer Folge von Nachfragewellen. Zuerst ging es um die unmittelbare Corona-Situation (z.B. Nachfrage nach Hygieneartikeln). Dann folgte der Zwang mit dem ungewohnten Lockdown klarzukommen. Schließlich wurden der veränderte Alltag und die Freizeit mit neuen Hobbys gefüllt. Kategorien wie die Fahrradbranche boomten und es kam immer wieder zu Lieferengpässen.

In der Krise schätzen die Menschen ihre Kaufkraft konservativer ein. Damit steigt das Interesse an der verlässlichen Preisübersicht spürbar an, idealo wird mehr genutzt. Trotz größerer Kaufzurückhaltung und Sparneigung will man sich über Angebote und Produkte am Markt informieren und bei einem guten Preis zuschlagen.

Im Frühjahr 2023 stieg das Zutrauen in die eigene Kaufkraft wieder etwas an, aber das kritischere Verhalten in der Auswahlphase blieb erhalten. Beispielsweise ist die durchschnittliche Dauer der Produktrecherchen gestiegen. Wir sehen, dass idealo neben der Entscheidung, wo ich schlussendlich kaufe, immer stärker auch für die Produktauswahl genutzt wird.

Auch die Wettbewerbslandschaft war turbulent – vielen Händlern und Marktplätzen geht gerade die Puste aus. Wie nehmt ihr das wahr? Wie geht es dem Segment der Preisvergleiche?

Die Corona-Pandemie war für viele Marktteilnehmer eine Herausforderung. Insbesondere war lange schwierig einzuschätzen, ob es wirklich eine nachhaltige Beschleunigung des Offline-Online-Shifts gab oder nicht. Eine Wette auf eine länger wirkende Beschleunigung, die während Corona plausibel schien, ist nach unserer Wahrnehmung für viele Händler nicht aufgegangen.

idealo hat sich als resilient erwiesen, da wir dem Nutzer in der Krise genau das geben, was er benötigt – den glaubwürdigen Preisüberblick.

Die Funktionsweise der Traffic-Kanäle ist für Preisvergleiche von entscheidender Bedeutung. Viele Preisvergleiche leiden unter einer seit Jahren zurückgehenden Sichtbarkeit der organischen Suchergebnisse bei Google, insbesondere dadurch, dass Google schrittweise immer mehr sichtbare Fläche für Suchergebnisse durch Paid-Produkte, insb. Google Shopping verdrängt hat. Ich denke, das ist aber nicht nur ein Thema für Preisvergleiche, sondern auch für Händler und insbesondere Marktplätze. Die ganze Branche sollte großes Interesse an der konsequenten Durchsetzung des Digital Market Acts haben. Mich erschreckt manchmal, wie oft man von Menschen im E-Commerce hört, dass SEO tot sei. Das heißt einfach nur, dass man sich mit dem Self-Preferencing der marktbeherrschenden Plattform abfindet. Für meinen Geschmack ist das etwas viel vorauseilender Gehorsam Google gegenüber, bevor die entsprechende Regulierung überhaupt einmal wirksam werden konnte. Der Digital Markets Act ist sehr klar. Wir sollten alle davon ausgehen dürfen, dass er umgesetzt wird.

Es ist wichtig, dass es freien Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Endkunden direkt an den Zugangsstellen des Internets gibt. Dieser Wettbewerb schützt die Endkunden und ermöglicht jedem Marktteilnehmer den Zugang zum Kunden aufgrund der Qualität der eigenen Leistung, insbesondere auch den Firmen von morgen. Das gilt übrigens auch für andere Branchen – Travel zum Beispiel.

idealo hat nach ca. 7 Jahren zum 01.01.2023 seinen Direktkauf abgeschaltet und damit auch das Kapitel „Marktplatz“ beendet. Was waren die Gründe dafür?

Der Direktkauf ist die ganze Zeit wunderbar gewachsen und musste sich vor anderen Marktplätzen nicht verstecken. Allerdings musste sich der Direktkauf in der Produktgestaltung stets dem klassischen Vergleichsmodell unterordnen, das ebenfalls sehr erfolgreich lief.

Bei einem Preisvergleich ist Marktplatzinventar und klassisches Preisvergleichsinventar konfliktärer als bei einem Händler, der zusätzlich einen eigenen Marktplatz betreibt. Der Händler verlängert durch Marktplatzangebote sein Inventar. Das war bei uns nicht so. Die Angebote standen stärker gegeneinander.

Wir hatten also zwei Modelle, die beide großartig liefen. Wir kamen dann an einen Punkt, wo wir uns entscheiden mussten: Stärker auch im Onlineprodukt zum Marktplatz zu werden oder auf unsere ursprüngliche Stärke, den Preisvergleich, zu setzen.

Der Preisvergleich ist für uns dabei am Ende die interessantere strategische Position. Und das war die richtige Entscheidung auch für unsere Partner. Denn wir wollten nicht zwischen Käufer und Händler stehen, sondern weiterhin der starke Traffic-Lieferant mit hoher Conversion sein und dies weiter ausbauen.

Hat idealo als Preisvergleichsportal andere Herausforderungen zu bewältigen als reine Online-Marktplätze? Welche Faktoren tragen aus deiner Perspektive maßgeblich zum Erfolg von idealo bei?

idealo ist für den Endkunden einfach ein wahnsinnig nützliches Produkt. Das ist der wesentlichste Erfolgsfaktor. Nirgendwo sonst kann man sich so schnell eine glaubwürdige Marktübersicht verschaffen. Dabei geht es nicht immer primär um den niedrigsten Preis – auch bei idealo wird ja nicht immer das günstigste Angebot gewählt – sondern um die qualifizierte Einkaufsentscheidung. Aber um eine solche Entscheidung fällen zu können, braucht der Kunde das Gefühl wirklich den Markt gesehen zu haben. Das ist unser Mehrwert. Wir zeigen dir den ganzen Markt. Das kann sonst keiner. Mit einem Klick ohne Kosten für den User.

Damit das funktioniert brauchen wir natürlich vollständiges Inventar, einen unschlagbaren Produktkatalog und ein attraktives und benutzerfreundliches Produkt mit sehr großer Reichweite, insbesondere auch in den App Stores.

Zum Teil haben wir dabei andere Herausforderungen als Marktplätze: Wir benötigen mehr Inventar als Marktplätze, um unseren Kundenmehrwert zu erbringen. Beim Inventar benötigen reine Onlinemarktplätze nur ein paar gute Listings pro Produkt. Ein Preisvergleich lebt von der Breite. Es macht für User nur Sinn auf idealo Preise zu vergleichen, wenn sie dort viele verschiedene Angebote und alle Anbieter vorfinden, die sie erwarten würden.

Wir interagieren deshalb auch mit einer breiteren Palette an Partnern als die meisten anderen. Wir haben tausende Direktkooperationen, die wir im Account-Management betreuen. Vom kleinsten Händler bis hin zu den großen Marktplätzen mit völlig unterschiedlichen Bedarfen.

Wir bauen einen einzigartigen Produktkatalog, den es so im Markt nirgendwo noch einmal gibt. Wir haben über 150 Content-Redakteure, die Millionen Produkteinträge pflegen. Dazu betreiben wir eine eigene Toolchain, die inzwischen um AI und Machine-Learning-Techniken ergänzt wird. Hier spielt auch jetzt schon im Live-Betrieb generative AI eine Rolle. In der großen Masse so viele Produkte kuratieren zu können, wird weiter ein Alleinstellungsmerkmal von idealo sein.

Unser B2C-Produkt muss eine anspruchsvolle Balance aus Einfachheit vs. Informationsfülle halten. Die Webseite von idealo ist informationslastiger als die vieler Händler und Marktplätze, weil wir eine andere Rolle in der Buying-Journey zu erfüllen haben.

Das Ganze ist dann irgendwann auch eine technische Herausforderung. Wir prozessieren Milliarden Preisupdates pro Tag und matchen die Angebote zu Einträgen in unserem Produktkatalog.

Welche Chancen seht ihr aktuell im Markt? Welche Trends sind für euch relevant? Welche Bedeutung hat bspw. AI für euer Geschäftsmodell?

Erst kürzlich haben wir die Beta unseres ChatGPT-Plugins auf der OpenAI-Plattform veröffentlicht. Es ist der erste Schritt in Richtung eines konversationsgesteuerten Preisvergleichs, bei dem Verbraucher:innen mittels einfacher Fragen zum passenden Produkt finden. Dabei helfen uns unsere extrem umfangreichen Daten. Nicht nur Preise, sondern auch Produktdaten und weiterer Content. Bei AI-basiertem Chat als B2C-Schnittstelle ist allerdings noch unklar, wie das Ökosystem einmal aussehen wird. Wird nachher alles auf die Chat-AIs von Google, Apple und Microsoft reduziert sein? Wie offen werden diese Plattformen sein? AI ist potentiell ein Game-Changer in den früheren Phasen der Produkt-Journey. AI kann den Nutzern helfen zu verstehen, was all die Produkteigenschaften und Daten bedeuten und was für ihre Produktauswahl wirklich notwendig ist. Berater-Flows sind ja klassisch nie besonders erfolgreich geworden, aber jetzt steht das nochmal zur Debatte. Aktuell haben AI und Machine Learning bei idealo den größten Hebel darin, wie wir mit den Milliarden Preisen und den Produktdaten intern umgehen. Die Vision ist ganz klar, dass einfach jedes Produkt, das man irgendwo Online kaufen kann, eine perfekt gepflegte und kategorisierte Produktseite auf idealo hat. Egal wie neu oder Long-Tail es ist.

Was sind Wachstumsfelder für idealo?

Wir wollen unsere Kern-Features weiter entwickeln, um unseren Usern die bestmögliche Kaufentscheidungen für – oder gegen – ein Produkt zu bieten. Auch in der Frühphase der Kauf-Journey. Nebenbei steigert das auch die Traffic-Qualität für den Shop.

Einen weiteren Fokus legen wir auf unsere Produkt-Listings, die wir ausbauen werden, damit User alles auf idealo finden, was sie suchen – und das natürlich zum besten Preis. Hier sehen wir u.a. Gebrauchtware als ein wichtiges strategisches Wachstumssegment. Man kann auf idealo schon länger auch gebrauchte Produkte vergleichen. 2024 werden wir alle Formen dieser pre-loved Angebote ausbauen. Da gibt es ganz klar eine sehr starke Nachfrage aus dem Markt.

Und wir wollen Herstellern mehr Möglichkeiten geben, auf idealo Sichtbarkeit zu gewinnen und hier – sehr ausgewählte, dedizierte – Retail-Media-Flächen anbieten. In Spanien und Österreich tun wir das bereits erfolgreich.

Wie seht ihr den Markt in zwei bis drei Jahren und wo seht ihr idealo zukünftig in diesem Markt?

Für immer mehr Menschen wird idealo der treue Helfer bei der Kaufentscheidung. Dabei gehen wir über das Thema Preis hinaus und erweitern das Inventar. Dadurch bauen wir unsere Position als einer der relevantesten Player in Europa aus. Mit Blick auf den Markt bin ich zuversichtlich, dass sich das E-Commerce Wachstum erholen wird. Über den Wachstumstreiber Offline-Online-Shift habe ich immer wieder pessimistische Äußerungen von Marktteilnehmern gehört. Das kann ich nicht ganz nachvollziehen. Ich glaube, dass demographische Argumente dafür sprechen, dass der Schub hierdurch wieder steigt.

Entscheidend dafür, dass der E-Commerce uns allen Spaß machen kann, ist, dass es direkt dort, wo Endkunden die meiste Zeit im Internet stöbern, wieder gesunden Wettbewerb gibt. Damit meine ich in erster Linie die Google-Suchergebnisseite. Aber es lohnt sich mal die ganze Liste der sogenannten Core Plattform Services des Digital Market Acts anzuschauen. Es muss verhindert werden, dass wenige dominante Marktbeherrscher die Menschen, die online einkaufen wollen oder sich über Produkte informieren wollen, nach intransparenten Mechanismen “weiterverteilen”. Der Worst Case wäre eine Bidding-getriebene Black-Box am Haupteingang des Internets, die automatisch alle Margen aus dem Markt rausoptimiert.

Die Antwort darauf ist freier Wettbewerb an den wichtigen Zugangspunkten des Internets. Falls es gelingt den freien Wettbewerb zu schützen, wird der E-Commerce ein toller Wachstumsmarkt mit Raum für viele verschiedene Händler, Marktplätze, Preisvergleiche und spannende Dienste, die wir noch gar nicht kennen. In diesem freien Wettbewerb beweisen wir uns gern.

Kurzportrait & Kontakt – eStrategy Consulting

eStrategy Consulting hilft Klienten dabei, digitale Innovationen zur Weiterentwicklung bestehender Geschäftsmodelle und für den Aufbau neuer Geschäftschancen zu nutzen. Die Handelsbranche unterstützen wir dabei in der Weiterentwicklung zum Omnichannel und Connected Commerce und zählen Hersteller, klassische Big Box Retailer, die Handelsimmobilienwirtschaft oder digitale Marktplätze und Plattformen zu unseren Kunden.

eStrategy Consulting deckt den gesamten Lebenszyklus digitaler Innovation ab, von der Analyse über die Ideation, die Lösungsentwicklung und die Markteinführung. Wir arbeiten als Strategie- und Konzeptentwickler sowie als nahtlos integrierter und pragmatischer Umsetzungsmanager. Wir setzen dafür auf einen Methoden-Mix aus der Welt des Digital Business und der klassischen Unternehmensberatung. Im Mittelpunkt stehen dabei sowohl die anwendenden Kunden unserer Klienten als auch seine Organisation und Fähigkeiten, die zum Betreiben notwendig sind.

Ansprechpartner

Thomas Natkowski
Partner & Geschäftsführer

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